Drei Bücher von Helene Hanff

Ich möchte euch gern drei Bücher der wunderbaren Helene Hanff empfehlen. Gleich das erste, 84, Charing Cross Road. Eine Freundschaft in Briefen, ist unter Bücherfreundinnen und -freunden sehr bekannt. Ein bezaubernder Briefwechsel zwischen Helene Hanff, einer New Yorker Schriftstellerin mit kleinem Budget und großer Liebe zu antiquarischen Büchern, und Frank Doel, dem Angestellten der antiquarischen Buchhandlung Marks & Co. in der Londoner Charing Cross Road.

Was im Herbst 1949 als geschäftliche Korrespondenz beginnt – Helene hat eine Anzeige des Antiquariats in der Saturday Review of Literature gelesen und richtet ihre erste Anfrage an die Buchhandlung – entwickelt sich im Verlauf von 20 Jahren zu einer Brieffreundschaft, die erst mit dem Tode Franks endet. Im Laufe der Jahre gehen die Briefe weit über ein „Besorgen Sie mir bitte dieses“ oder „Haben Sie jenes vorrätig?“ hinaus. Helene erfährt immer mehr über die Menschen in der Buchhandlung, über Frank und seine Familie und erzählt von ihren Schwierigkeiten, sich als Schriftstellerin über Wasser zu halten. In den schweren Jahren nach dem Krieg sendet Helene Lebensmittelpakete für die Angestellten und auch mal Nylons für die Damen. Liebevolle Briefe und viele Einladungen nach England sind der Dank. Doch die geplante Englandreise verschiebt sich Jahr um Jahr, weil Helene die finanziellen Mittel fehlen. Mal muss sie umziehen und die Ausgaben für neue Möbel verschlingen das beiseite gelegte Reisegeld, mal kann sie nicht zur Krönung von Elizabeth II. anreisen, weil ihre Zähne überkront werden müssen und sie schreibt bedauernd: „Zähne sind das Einzige, was ich in den nächsten Jahren gekrönt sehen werde.“

Der Briefwechsel liest sich wirklich entzückend. Das liegt nicht zuletzt auch an der Mischung amerikanischer Freimütigkeit und englischer Zurückhaltung. So schreibt Helene beispielsweise: „Sie rasender Blitz! Sie machen mich ganz schwindlig, wenn Sie mir Leigh Hunt und die Vulgata in solch atemberaubender Geschwindigkeit herüberschicken. Wahrscheinlich ist Ihnen nicht klar, dass ich sie vor kaum länger als zwei Jahren bestellte. Wenn Sie in diesem Tempo fortfahren, werden Sie einen Herzinfarkt bekommen!“ Ein anderes Mal beklagt sie sich: „Sie Faultier! Ich könnte hier KREPIEREN, ehe Sie mir auch nur irgendwas zu lesen schicken.“ Ihr Brieffreund ist jedoch nicht beleidigt, sondern bemüht sich umso emsiger, die Ausgaben aufzutreiben, die sie sich wünscht. Und auch das weiß Helene zu würdigen: „Ich liebe antiquarische Bücher sehr, die von selbst an der Seite aufklappen, die der frühere Besitzer am häufigsten gelesen hat“ oder auch „seien Sie gesegnet für die Lebensbeschreibungen von Walton. Unglaublich, dass ein 1840 erschienenes Buch sich hundert Jahre später in so tadellosem Zustand befindet. So weiche, handbeschnittene Seiten“. Insgesamt warmherzig, klug und absolut empfehlenswert! Übrigens auch die Verfilmung Zwischen den Zeilen mit Anne Bancroft und Anthony Hopkins.

Aber die Geschichte von Helene Hanff ging nach Veröffentlichung des Briefwechsels weiter (in England und den USA 1970, in Deutschland erst 2002). Und zwar mit ihrem Buch Die Herzogin der Bloomsbury Street. Eine Amerikanerin in London. Darin beschreibt die Autorin ihre erste Reise nach London, die sie anlässlich der Vorstellung von 84, Charing Cross Road unternimmt. Die herrlich unprätentiöse frischgebackene Erfolgsautorin genießt ein bisschen den Rummel, aber vor allem ihren Sehnsuchtsort London. Von ihren Erlebnissen mit Fans und der Literaturszene erzählt sie in einer Art Tagebuch ebenso geistreich-amüsant, wie man es bereits von 84, Charing Cross Road kennt. Wer den ersten Teil liebte, sollte sich den zweiten Teil nicht entgehen lassen.

Kommen wir nun zum dritten Buch, den Briefen aus New York. New Yorker Geschichten, die sie für eine Radiosendung der BBC schrieb (die Sendung lief von 1978 bis 1984). Hier versammeln sich wieder ihre erzählerischen Qualitäten (Witz & Verstand) und verbinden sich mit vielen persönlichen Erlebnissen und New Yorker Spezialitäten zu einer unwiderstehlichen Hommage an eine aufregende Stadt. Für mich besonders faszinierend ist dabei, dass sie keineswegs die allzu bekannten Qualitäten New Yorks hervorhebt. Dies ist kein Führer für Touristen. Helene Hanff geht mit offenen Augen und Ohren durch ihr Leben und ihre Stadt, arbeitet, pflegt Freundschaften, tut, was wir alle im Alltag so tun.  Erzählt, wie die Stadt im Oktober wieder neu zu leben beginnt, von Volksparaden und wie man sie übersteht, über Millionäre und ganz normale Leute. Besonders gefiel mir die Geschichte über den Shakespeare Garden im Central Park, der von Privatleuten wieder auf Vordermann gebracht wurde. Leider ohne englische Wiesenblumensamen. Und was geschah? Die BBC-Hörerinnen und -Hörer sandten Wiesenblumensamen für den Garten!

Also, ihr Lieben, lest Helene Hanff und lasst euch von ihren Geschichten bezaubern!

Über Petra Gust-Kazakos

Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig https://phileablog.wordpress.com/
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12 Antworten zu Drei Bücher von Helene Hanff

  1. haushundhirschblog schreibt:

    Liebe Petra,
    Helene Hanff kannten wir bisher nicht, und auch die Verfilmung des Briefwechsels haben wir noch nicht gesehen. Zumindest wäre es uns nicht bewusst. Vielen lieben Dank für Deine lustmachende und gute Besprechung, wir werden uns sicher einmal intensiver mit ihr beschäftigen!
    Es ist immer bereichernd, bei Dir zu lesen .. und zu schauen …
    Beste Grüße,
    dm und mb

  2. heidrun schreibt:

    Danke für dieses Lesefutter , das ist so ganz nach meinem Geschmack!
    …. Und ich meine den Film vor Jahren gesehen zu haben.

    Gebuchte .. verlesene .. schöne Grüße
    Heidrun 😉

  3. Pingback: Helene Hanff: 84 Charing Cross Road | DruckSchrift

  4. saetzebirgit schreibt:

    Nachdem ich jetzt erst die Helene Hanff kennen – und mögen gelernt habe mit ihrem Briefwechsel, beuge ich mich Deiner Empfehlung und erweitere meine Leseliste. Die anderen beiden Bücher von ihr müssen UNBEDINGT auch her. Man hat ja sonst nicht immer soviel Vergnügen 🙂

  5. Susanne Haun schreibt:

    Liebe Petra, über Birgit bin ich hier bei dir und Helene Hanff gelandet. Gerade habe ich die letzten Töne vom Hörbuch „Briefe aus New York“ gehört und bin zufrieden. Schön erzählte Geschichten und da ich selber lange in einer 1 Zimmer Wohnung gelebt habe, musste ich herzlich über die Weihnachtsparty mit ausgeräumten Kleiderschrand und 50 Gästen lachen!
    Grüße und einen schönen Tag von Susanne

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Liebe Susanne, haha, ja, diese Partys in Ein-Zimmer-Wohnungen habe ich auch schon gegeben – es ist wirklich erstaunlich, wie viele Leute da immer reingepasst haben! Und wir hatten mindestens genauso viel Spaß wie heute, wo die Feste in größeren Wohnungen, Häusern oder gar angemieteten Bars stattfinden. Raum ist in der kleinsten Hütte ; )
      Hast du auch schon ihr erstes Buch gelesen oder gehört? Das gefällt mir von den dreien eigentlich immer noch am besten. Liebe Grüße aus dem sommerheißen Karlsruhe!

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