Büchermäßig hat sich 2014 ja schon sehr gut angelassen. Die Bücher, die ich in diesem Jahr las, waren jedenfalls alle ausgezeichnet. Das gilt auch für Robert Seethalers Roman Der Trafikant. Der hatte mich schon wegen des Titels angelacht, denn seit meinem ersten Besuch in Wien weiß ich als Raucherin, dass ein Laden, der Schreib- und Tabakwaren sowie Zeitungen und Zeitschriften führt, dort eine „Trafik“ genannt wird. Und bei Wikipedia erfährt man auch, woher der Name kommt, nämlich aus dem Italienischen – „traffico“ bedeutet „Handel“.
Doch zum Roman: Mann, kann der Seethaler schreiben! Als hätte er direkt aus der Zeit heraus geschrieben, als Augenzeuge, Zeitgenosse. Die Handlung setzt 1937 ein, der 17 Jahre alte Franz Huchel aus einem kleinen Ort in Österreich, zu zart für Wald- und Landarbeit, wird von seiner Mutter nach Wien geschickt, wo er in der Trafik von Otto Trsnjek als Lehrling anfangen soll. Otto, der im Krieg sein Bein verlor, war wohl einst ein Liebhaber der Mutter. Der etwas kauzige Trafikant kümmert sich um Franz, bringt ihm bei, was man als Trafikant können und wissen muss – also die wichtigsten Zeitungen lesen, alles über Zigarren etc. – und Franz taucht mitten hinein nicht nur in die ihn überwältigende Stadt Wien, sondern auch gleich in die aktuellen Geschehnisse dort, in Deutschland und auf der ganzen Welt. Das allein wäre für den Jungen schon ziemlich aufregend, aber dann verliebt er sich auch noch in die mysteriöse Anezka und freundet sich mit Sigmund Freud an.
Bei diesen Zutaten hätte nun auch ein seichter Unfug mit viel Herzschmerz herauskommen können. Seethaler aber macht daraus einen großartigen, spannenden, historisch aufregenden Roman. Nach dem Anschluss Österreichs schlägt die Stimmung in Wien völlig um. Selbst banale Tätigkeiten können Gefahren bringen und kleine Eingriffe und Anmerkungen, die nicht der gleichgeschalteten Meinung folgen, wirken bizarr, fast surreal in dem beklemmenden kleingeistigen Klima, das Seethaler so genau auszuleuchten weiß. Kafkaesk war auch so ein Wort, das mir dazu einfiel … Otto jedenfalls teilt die gebräunte Begeisterung seiner Landsleute nicht im Geringsten, wird denunziert und abgeholt. Franz hält die Trafik am Laufen und versucht herauszufinden, was mit Otto passiert und wie er seinen Liebeskummer überwinden könnte.
Otto wird nie mehr zurückkehren. Freud wird Wien verlassen und bald darauf im Exil sterben. Auch Franz und Anezka ist kein Happy End beschieden. Die Zeit der Happy Endings ist für Jahre hinaus vorüber. Ein hervorragender Roman, bei dem alles stimmt – unbedingt lesen!
Zur Einstimmung noch der Verweis auf zwei sehr gute Besprechungen bei Sätze&Schätze und bei den Literaturen.
Liegt bei mir auf Halde, bin sehr gespannt!
Lohnt sich absolut!
Gut, dass ich gerade meine Regale ein bisschen ausmiste… Klingt super! Lieben Gruß, Peggy
Ist es auch, liebe Peggy! Und bei Kein & Aber sieht sogar die TB-Ausgabe gut aus : ) Liebe Grüße!
Wird gelesen! Vielen Dank für die schöne Empfehlung von Trafik- und Tram-Fan Andrea…
Das freut mich, liebe Andrea : ) Liebe Grüße!
Zustimmung auf der ganzen Linie, liebe Petra – ich finde den Trafikanten auch einfach großartig. Liebe Grüße!
Danke dir, liebe Maren! es ist für mich eines dieser Bücher, das man gelesen haben sollte, wie auch beispielsweise Haffners Geschichte eines Deutschen (https://phileablog.wordpress.com/2012/11/07/geschichte-eines-deutschen/) oder das zwar schwer erträgliche, aber furchtbar gute Der Nazi und der Friseur von Edgar Hilsenrath (https://phileablog.wordpress.com/2012/11/10/der-nazi-der-friseur/). Liebe Grüße!
Ja, auch bei Haffner und Hilsenrath kann ich dir nur zustimmen, Petra. „Der Nazi und der Friseur“ gehört zu den Büchern, die mich am nachhaltigsten beeindruckt haben.
Geht mir auch so … harter Tobak, aber wichtig.
Liebe Petra,
klasse, dass Dir der Trafikant ebenso zusagte wie mir – ein wunderbarer Roman. Und begabter Autor – ich freue mich schon auf die Post von meinem Buchhändler, der mir einen anderen Seethaler schicken will …Und noch eine Gemeinsamkeit, die ich sehr sympathisch finde: Ich pflege auch das Laster des Rauchens 🙂 Freue mich, wenn Du zum Buchregalstöbern kommen könntest bei ein paar Zigaretten 🙂 Danke für den Link auf meine Besprechung – man kann von dem Buch nur Schwärmen 🙂 LG Birgit
Danke dir, liebe Birgit : ) Nun bin ich neugierig, welchen Seethaler erwartest du denn?
Und: Sehr gern würde ich auf ein paar Zigis zum Stöbern & Schnacken vorbeikommen : ) Vielleicht haben wir ja mal eines Tages Gelegenheit dazu. Liebe Grüße!
Liebe Petra,
jetzt wirds ernst. Also, so heißt das Buch 🙂
Link zur Homepage des Autoren: http://www.robertseethaler.de/
Ah, super, dank dir für den Link : )
Liebe Petra! Danke für den tollen Buchtipp. Das klingt äußerst interessant. Muss ich lesen. Vielleicht mit Pfeife…
Wolfgang
Das freut mich, lieber Wolfgang! Eine beruhigende Pfeife ist bei dem Inhalt sicher eine gute Idee. Oder eine Zigarre, wie Freud? Liebe Grüße!
Mich hast du auch angesteckt 🙂 Das muss ich lesen!
Das ist ja klasse, liebe Petra! Ich wünsche dem Buch eine wirklich große Leserschaft : )
Kommt auf meine Leseliste, lieben Dank für die Empfehlung.
Sehr gern, lieber Ben!
Liebe Petra,
Mist, kommt auf die Liste. Sehr schöne, das Lesen-wollen fördernde Besprechung. Ob ich wohl lang genug lebe für meine Liste? Frührente wäre vielleicht noch ne Lösung…
Liebe Grüße, Kai
Vielen Dank, lieber Kai! Altersteilzeit, Frührente – praktisch zum Lesen wär das schon, dann ernähren wir uns eben von Luft und Liebe ; )
Liebe Petra,
der „Trafikant“ begleitet mich schon eine ganze Zeit, er ist auch schon mitgereist in den Weihanchstferien, aber immer wieder hat sich ein anderes Buch vorgedrängelt. Wahrscheinlich ist er zu höflich und lässt sich immer wieder vertrösten. Jedenfalls hat mich schon die erste Seite – es wird ein Unwetter beschrieben – sehr für ihn eingenommen. Ich freue mich schon auf die Lektüre – mal sehen, wie er sich mit den anderen Stapelbüchern auseinandersetzt :-).
Viele Sonntagsgrüße, Claudia
Liebe Claudia, ich kenne solche „höflichen“ Bücher auch (putzige Vorstellung). Die Zimtläden von Bruno Schulz war so eins, das lange ruhte. Ich hatte es einmal angelesen und beschlossen, dass ich dafür gern die richtige Stimmung, Muße etc. abwarten wollte. Und als ich es dann endlich las, war auch alles genau richtig und hat gepasst : )
Liebe Grüße & noch einen schönen Sonntagabend!
So machen „der Trafikant“ und ich es wohl auch .-). Hört sich jedenfalls nach einem sehr guten Vorschlag an!
: )
Ein wirklich wunderbares Buch, dieser Trafikant.
http://andreas-oppermann.eu/2013/01/31/robert-seethaler/
Mir haben in diesem melancholischen Roman nicht nur die Traumzettel am Traffikfenster und das Lob der Zeitungslektüre gefallen, sondern vor allem wie Seethaler Stimmungen in symbolhafte Bilder umsetzt. Freud hätte sich gefreut. 😉
So geht es mir auch, liebe Atalantes, besonders die Traumzettel fand ich sehr faszinierend.
Jetzt endlich an einem Wochenende gelesen und sehr gemocht!
Super, das freut mich sehr! Ja, es ist eines dieser Bücher, die einen derartigen Sog entwickeln, dass man sie möglichst bald und am Stück lesen will. Leider sind sie dann zu Ende und ich beneide jeden um das Erstleseerlebnis. Aber dies ist auch eines der Bücher, die ich nochmals lesen werde.
Liebe Petra, danke für den Tipp, ich bin gestern mit dem Lesen fertig geworden und bin restlos begeistert. Aus meiner Sicht eins von den Büchern, die ruhig doppelt so dick sein dürften, dann kann man länger lesen…
Ach, wie schön! Ja, stimmt, es gibt diese Bücher … Dabei beneide ich auch immer alle, die noch das erste Mal das Buch lesen vor sich haben : )
Es hat ein Weilchen gedauert, aber jetzt habe ich ihn endlich auch – und bin von den ersten Seiten ganz und gar hingerissen…. Ich danke Dir noch mal für die Empfehlung, die mir in den letzten Monaten nicht aus dem Kopf gegangen ist… 🙂
Ach, wie schön, liebe Andrea! Ja, der Traffikant geht einem auch nach dem Lesen lange nicht aus dem Sinn, es ist wirklich ein tolles, hinreißendes Buch. Liebe Grüße!
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