Englische Exzentriker

Kürzlich die Lektüre Englische Exzentriker. Eine Galerie höchst merkwürdiger und bemerkenswerter Damen und Herren von Edith Sitwell beendet – eine anregende, kurzweilige und sehr empfehlenswerte Lektüre.

Haben wir nicht alle unsere Tics und Schrullen? Manche sind sympathisch und liebenswert, andere wirken eigenartig oder können unsere Umgebung auch mal nerven. Die englische Lyrikerin und Autorin Edith Sitwell hat 1933 mit The English Eccentrics eine Art literarische Wunderkammer mit kuriosen Persönlichkeiten bevölkert. In der mir vorliegenden deutschen Ausgabe aus dem Wagenbach Verlag, die übrigens ergänzt wird um ein erhellendes Vorwort sowie interessante Nachbemerkungen der Übersetzerin Kyra Stromberg, sind zwar nicht alle, aber doch mehr als die Hälfte der Porträts aus der Originalausgabe enthalten. Wir treffen darin Uralte und die wundersame Spezies der „Schmuck-Eremiten“, Menschen, die sich für ungewöhnliche oder ungewöhnlich teure Moden begeistern können, eine „gebildete Dame“, die leider meist ihr Herz den falschen Männer schenkte, und viele weitere faszinierende Gestalten.

Wie dem Vorwort von Kyra Stromberg zu entnehmen ist, war Edith Sitwell selbst eine englische Exzentrikerin in dem von ihr definierten Sinne: Exzentrik sei nämlich „nicht, wie langweilige Leute uns glauben machen wollen, eine Form von Verrücktheit, sondern oft eine Art unschuldiger Stolz. Geniale und aristokratische Menschen werden häufig als exzentrisch betrachtet, weil das Genie wie der Aristokrat vollkommen unerschrocken und unbeeinflußt sind von den Meinungen und Launen der Massen.“ [Vorwort zu Englische Exzentriker, S. 7]

Edith Sitwell muss schon rein äußerlich eine für ihre Zeit ungewöhnliche Erscheinung gewesen sein, sehr groß (um die Einsachtzig), sehr schlank, in wogende Roben gehüllt wie ein „großer vom Wind gezauster Vogel“ [S. 7]. Sie stammte aus uraltem englischen Adel und bewahrte sich ihren eigenen Kopf. Allein die kurze Lebensgeschichte, die uns Kyra Stromberg im Vorwort präsentiert, macht Lust auf mehr von Edith Sitwell. Vielleicht verdankt sich ihrer eigenen besonderen Stellung ihre einfühlsame Beschreibung der verschiedenen Exzentriker, die einem fast immer liebenswert in ihrer Schrulligkeit vorkommen. Ebenfalls sehr schön: Meine Ausgabe enthält eine Menge Fotos und Porträts der porträtierten Exzentriker sowie natürlich der Autorin selbst.

Weitere interessante Persönlichkeiten oder auch „Strange Flowers“ findet ihr auf dem gleichnamigen Blog von James Conway. Hier gibt es auch viele interessante Beiträge zu Edith Sitwell zu entdecken.

Über Petra Gust-Kazakos

Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig https://phileablog.wordpress.com/
Dieser Beitrag wurde unter Lesenswertes abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

40 Antworten zu Englische Exzentriker

  1. Pingback: [Philea's] Englische Exzentriker - #Literatur | netzlesen.de

  2. Herr Ärmel schreibt:

    Klasse Vorstellung zu einem aussergewöhnlichen Buch.
    Unbedingt lesenswert, wenn man sich für englische Schrullen erwärmen kann.
    Sonntagdämmrige Grüsse aus dem musischen Bembelland

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Danke, lieber Herr Ärmel! Sie kennen das Buch offenbar ebenfalls?
      „Musisches Bembelland“ – sehr schön! Herzliche Grüße dorthin!

      • Herr Ärmel schreibt:

        Exakt, ich habe derlei Literaturen während meiner englischen Zeit kennengelernt.

        Bei allem Reiz, den die sogenannten Exzentriker auf uns Kleinbürger ausüben, darf man nie ihre Vermögensverhältnisse im Hintergrund vergessen.

        • Petra Gust-Kazakos schreibt:

          Tja, finanzielle Freiheit kann natürlich vieles erleichtern … Wobei diese Schmuck-Eremiten nicht alle so gut betucht waren (huch, wie zweideutig passend).

        • Herr Ärmel schreibt:

          Nun, jammern auch damals schon zum Handwerk und irgendeine reiche Tante oder ein Erbonkel hatte dann doch ein Einsehen. Ich habe etliche Häuser besichtigen können, von Schriftstellern, denen man ärmlichere Verhältnisse nachsagte. Monkshouse von Virginia Woolf beispielsweise. Auch wenn man das Wasser am Brunnen holen musste so war es doch um vieles luxuriöser als vergleichbare andere Wohnstätten.
          Die Leute hatten schon ihre Einkünfte von da und dort…

        • Mina schreibt:

          Ich mische mir mal kurz ein und sende Grüße aus dem Bembelland ins Bembelland.

        • Mina schreibt:

          Das sollte „mich“ heißen! Ich bitte um Entschuldigung.

  3. saetzebirgit schreibt:

    Schöner Lektüretipp! Seit Klaus Krolzig bei mir ein Buch über die Mitford-Sisters besprochen hatte, halte ich Ausschau nach Exzentrikern. Könnte Dir auch gefallen – das Journal von James Boswell. Wieso aber haben die Briten scheinbar so viele – oder haben sie einfach nur mehr Toleranz und deshlab einen gewissen Stolz auf ihre Exzentrik?

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Exzentriker sind wirklich faszinierend. Ich fand auch den Gedanken von Edith Sitwell über deren Freiheit vom Massengeschmack etc. schön (und so erstrebenswert).
      Von Boswell hab ich hier noch was bislang Ungelesenes: Eine Ausgabe mit „Das Leben Samuel Johnsons“ und „Das Tagebuch einer Reise nach den Hebriden“ – meinste das? Oder noch mal was anderes?
      Übrigens hab ich mir (2nd Hand) noch 2 weitere Büchlein aus dem schönen Wagenbach Verlag bestellt – die Werbung dazu befand sich am Ende des Sitwell-Büchleins: „Verführer an allen Ecken und Enden. Ratschläge für die kultivierte Frau“ und „Die Frau, die auf Reisen geht, um zu vergessen“, beide von Djuna Barnes. Klang auch gut und vielleicht auch was für dich?
      Tja, englische Exzentriker, ich könnte mir vorstellen, dass die es in England wirklich leichter haben …

      • saetzebirgit schreibt:

        Liebe Petra, das Barnes-Buch mit den Verführern habe ich auch im Auge…das andere kenne ich noch nicht. Der Boswell ist eine Reclam-Ausgabe mit Auszügen aus dem Hebriden-Tagebuch, dem Londoner Tagebuch u.a. – köstlich! Ich nehme mir da immer wieder ein paar Seiten zum Amüsemang vor 🙂

  4. mannigfaltiges schreibt:

    Dame Edith Sitwell, ich liebe die photographischen Portäts von ihr, besonders wenn sie von Cecil Beaton stammen. Was auffällt: sehr oft sind ihre es feingliedrigen Hände die zusammen mit dem „Charakterkopf“ ein wunderbar aussagekräftiges Bild ergeben. Wer sich davon selbst überzeugen möchte, findet hier viele schöne Beispiele: http://theredlist.com/wiki-2-24-525-770-942-view-1930s-4-profile-edith-sitwell.html
    lg – e.

  5. dasgrauesofa schreibt:

    „(…) weil das Genie wie der Aristokrat vollkommen unerschrocken und unbeeinflußt sind von den Meinungen und Launen der Massen.“ Tja, zur Aristokratie hat es nicht gereicht, vielleicht versuchen wir es dann mal als Genie! – Und übrigens: wenn man Exzentriker an Kleidung ablesen mächte, im Sinne von „in unschuldigem Stolz“ getragen, dem sei der Besuch eines Lehrerkollegiums empfohlen. Da kann man die exzentrischsten Erscheinungen bewundern – und gleich treffsicher die Fächerkombination erraten: völlig unerschrocken und unbeeinflusst :-).
    Viele schmunzelnde Grüße, Claudia

  6. Pit schreibt:

    Hallo Petra,
    ist „englische Exzentriker“ nicht eigentlich eine Tautologie? 😉
    LG, und noch einen schoenen Sonntagabend,
    Pit

  7. Thomas schreibt:

    Einfach ein großes Lesevergnügen! Und Lady Sitwell ist das beste Beispiel! 😉

  8. Auch dieses ist absolut empfehlenswert:
    Edith Sitwell: Mein exzentrisches Leben – Autobiographie, Frankfurt a.M.: Fischer TB, 1994.

    Herzlicher Gruß
    Constanze

  9. flattersatz schreibt:

    mir hat besonders der herr gefallen, der sich mit dem rechten großen zeh am hinterkopf kratzen konnte und die gäste laut bellend unter dem tisch hervorschießend ins bein biss… 🙂

    zu lesen ist das alles sehr erheiternd, aber wenn man so jemanden in der verwandtschaft hätte, wäre die sicht vllt anders…. 😉

    liebe grüße
    fs

  10. Thomas Brasch schreibt:

    Habe das auch vor Jahren gelesen. Mir besonders in Erinnerung blieb besagter „Schmuck-Eremit“. Ich finde, jeder sollte so einen haben.

  11. Ich bin ein großer Sitwell Fan und habe so alles verschlungen, was es von ihr gibt. Wie wunderbar, dass sie auch von anderen entdeckt wird.

  12. buchpost schreibt:

    Hallo, Petra, was für eine reizvolle Besprechung. Hier vielleicht zum Weiterschmökern noch ein Tipp: https://kaggsysbookishramblings.wordpress.com/2015/02/22/eccentrics-and-long-forgotten-stories/
    LG, Anna

Hinterlasse eine Antwort zu Petra Gust-Kazakos Antwort abbrechen