Pariser Symphonie

Pariser_SymphonieGerade noch rechtzeitig vor meinen Ferien wurde ich auf den frisch bei Manesse erschienenen Erzählband der von mir sehr verehrten Irène Némirovsky aufmerksam. Übersetzt wurde er von Susanne Röckel und mit einem Nachwort versehen von Sandra Kegel. Kleiner Spoiler: Ich bin sehr angetan von den Erzählungen, vor allem von den „filmischen“ Elementen.

Der Band enthält elf Erzählungen, die zwischen Ende der 1920er Jahre und 1942 entstanden; jenem Jahr, in dem Irène Némirovsky nach Auschwitz deportiert wurde, dem Jahr ihres Todes. Wer ein bisschen über ihre Biographie weiß, erkennt die autobiographischen Züge in ihrem Werk: Anklänge, Erinnerungen an ihre Flucht aus Russland über Finnland, die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, fruchtlose Erfahrungen … Auch in diesen elf Erzählungen finden sich diese Motive wieder.

Die erste Erzählung, „Die Geister“ von 1934, geht ins Übersinnliche: Eine Frau, inzwischen verheiratet und mit einer reichen Kinderschar gesegnet, träumt sich immer wieder in ihre Jugend zu einem Sehnsuchtsort ihrer Kindheit und zu ihrer großen Liebe zurück. Ihre Erinnerungen sind so intensiv, dass sie sich auf ihre Zwillingssöhne zu übertragen scheinen. Denn die Zwillinge können plötzlich Dinge sehen, die sie nicht aus eigener Anschauung kennen können. Eine für Irène Némirovsky ungewöhnliche Erzählung, dachte ich, da sie ein bisschen in Richtung Gothic Novel geht, was mir gefällt. Sie erinnerte mich ein bisschen an manche Novellen von Maupassant und an Puschkin, von dem ich zuvor ebenfalls einige Erzählungen zum Thema „Unerklärliches“ gelesen hatte. Auch die Erzählung „Magie“ enthält solche Elemente , Schicksal und unerfüllte Vorbestimmung sind hier die Themen.

Besonders gefielen mir Erzählungen wie „Pariser Symphonie“, bei denen die Schriftstellerin ihre Vorliebe für das Kino, das Medium Film zeigt und für ihr Schreiben umsetzt, indem sie auf filmhafte Weise erzählt. Zum Innenleben gibt es nur wenig, dafür Geräusche,  Beschreibungen bestimmter Szenen, manchmal sogar mit passender Musik, und Sätze, die sich wie Regieanweisungen lesen – faszinierend. Wie im Nachwort zu lesen ist, kamen allerdings gerade diese „filmischen Erzählungen“, die heute so modern wirken, bei der Kritik weniger gut an. Zu weit weg von klassischer Erzählweise, doch gerade das macht für mich ihren Reiz aus. Wie sich Moden wandeln, wie launisch der Geschmack ist, auch in der Literatur … Die ersten, die die bisher gültigen Regeln brechen, haben es vielleicht immer am schwersten. Bis sich dann alle daran gewöhnt haben. Dann ist der einstige Regelbruch auch fast schon wieder eine weitere Regel.

Ich habe die Erzählungen sehr gern gelesen und rate zu!

Über Petra Gust-Kazakos

Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig https://phileablog.wordpress.com/
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13 Antworten zu Pariser Symphonie

  1. Pingback: [Philea’s] Pariser Symphonie – #Literatur

  2. gkazakou schreibt:

    „Schicksal und unerfüllte Vorbestimmung“ – das klingt rätselhaft und lädt zum Nachdenken ein.

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Die Erzählung spielt mit der Idee, was wäre, wenn eine – auf etwas abergläubischen Wegen zustande gekommene – Bestimmung sich nicht erfüllt. Hat mir gut gefallen. Liebe Grüße!

  3. Ruhrköpfe schreibt:

    Macht mich neugierig. Danke für’s Vorstellen 👍🙂

  4. Tobi schreibt:

    Liebe Petra,

    das Buch habe ich schon auf herzpotenzial entdeckt und es hört sich echt gut an. Eine Empfehlung von dir gibt bei dem Buch den Ausschlag und es wander auf die Wunschliste. Kurzgeschichten mag ich ohnehin in letzter Zeit recht gern und Paris sowieso.

    Liebe Grüße
    Tobi

  5. nettebuecherkiste schreibt:

    Ich habe von der Autorin bisher nur „Die Familie Hardelot“ gelesen und muss gestehen, dass das mich nicht so richtig überzeugt hat. Vielleicht finde ich über diese Geschichten ja einen Zugang zu ihr, werde mir das Buch mal merken 🙂

  6. Laura schreibt:

    Wow, cooler Blog. Als junge Autorin freut es mich immer wieder zu sehen, dass es noch andere Menschen gibt, denen das Medium Buch sauwichtig ist. Ob man es glaubt oder nicht – ich kenne im persönlichen Umfeld leider wenige, denen das so geht.

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Danke. Ja, es ist ein Glück, dass es so viele & so viele gute Literaturblogs gibt, so kann man – ortsunabhängig & über den eigenen Bekanntenkreis hinaus – viele Menschen finden, die ein ähnlich starkes Interesse an Literatur haben.

  7. Pingback: Pariser Symphonie von Irène Némirovsky

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