Die Cousinen Beauchamp

Derzeit lese ich Romane und Erzählungen zweier Cousinen. Unabsichtlich, denn dass die Schriftstellerinnen Elizabeth von Arnim und Katherine Mansfield miteinander verwandt sind, war mir nicht bewusst. Im folgenden Beitrag geht es um die Freuden des Recherchierens, Puzzelns und Verwebens. Und natürlich um die Bücher, die ich las und lese.

Es gibt ja Menschen, die sich alles Mögliche merken können. Oder bestimmte Sachen besonders. Bei mir sind es Verwandtschaftsbeziehungen diverser SchauspielerInnen und ich verblüffe ich mein Umfeld zuweilen mit Bemerkungen über die Verwandtschaft zwischen Olivia de Havilland und Joan Fontaine (Schwestern), Tippi Hedren und Melanie Griffith (Mutter und Tochter) oder auch Janet Leigh und Jamie Lee Curtis (dito). Ich habe keine Ahnung, warum ich mir so was merke.

Familienforschung

Jedenfalls dachte ich bei Elizabeth von Arnim, sie könnte wohl mit Bettina von Arnim übereck bzw. angeheiratet verwandt sein, und googelte nach ihrer Biographie. Auf der Homepage der Familie von Arnim sieht es auch ganz danach aus, in der Biographie in der Wikipedia habe ich dazu keinen Hinweis gefunden. Ich finde das allerdings nicht ganz uninteressant. Stattdessen erstaunte mich die Wikipedia mit der Information, dass Elizabeth von Arnim mit Katherine Mansfield verwandt war. Wie konnte mir das bislang entgehen!

Elizabeth von Arnim wurde 1866 als Mary Annette Beauchamp in Kirribilli Point bei Sydney, Australien geboren und May genannt. Gestorben ist sie 1941 in Charleston, South Carolina. Kathleen Mansfield Beauchamp wurde 22 Jahre später, 1888 in Wellington, Neuseeland, geboren und starb viele Jahre vor ihrer Cousine 1923 in Fontainebleau.

Zwei Frauenleben

May, die sich erst später Elizabeth nannte, war in erster Ehe mit Henning August Graf von Arnim Schlagenthin verheiratet, mit dem sie fünf Kinder hatte. Nach mehreren erfolgreichen Romanveröffentlichungen ist sie finanziell unabhängig und trennt sich 1908 von ihrem Mann, der zwei Jahre später stirbt. Sie zieht mit ihren Kindern nach London und lebt mehrere Jahre abwechselnd dort oder später in ihrem Chalet im schweizerischen Wallis, wo sie auch ihre Cousine Katherine Mansfield besucht, oder auch an der französischen Riviera. 1916 heiratet sie Francis, den Bruder des Mathematikers Bertrand Russel, Auch diese Ehe scheitert. Männer und Frauen umschwärmten sie, Shaw, Forster und andere lobten ihren Witz und ihre Spottlust, sie hatte Affären mit interessanten Zeitgenossen wie H. G. Wells, schrieb erfolgreich weiter und emigrierte 1939 in die USA zu ihren Töchtern. Ausführlichere Informationen findet ihr hier.

Kathleen wächst in Wellington auf und lebt ab 1908 in London. Sie wird schwanger, heiratet aber einen anderen Mann, den sie gleich wieder verlässt, und wird von ihrer Mutter nach Bayern geschickt, wo sie eine Fehlgeburt hat. 1911 erscheint ihre erste Kurzgeschichtensammlung, In a German Pension. Im gleichen Jahr lernt sie John Middleton Murry kennen. Sie heiraten 1918, nach etlichen Höhen und Tiefen ihrer Beziehung. Inzwischen ist bei ihr Tuberkulose diagnostiziert worden, sie hat finanzielle Sorgen, Beziehungsprobleme und nun auch erhebliche Gesundheitsprobleme. Aufenthalte in Südfrankreich, Italien und der Schweiz sollen sie gesund machen, aber mit nur 34 Jahren stirbt sie. Ausführlichere Informationen zu ihr hier oder auch hier.

Ihre Namen haben die Cousinen beide verändert. Wobei „Elizabeth“ zugleich die Hauptfigur der autobiographischen Romane Elizabeth von Arnims ist (Elizabeth und ihr Garten, Elizabeth auf Rügen).

Schreibverwandtschaften

Elizabeth von Arnim war überaus erfolgreich, Katherine Mansfield überaus begabt. „Sie gilt neben Tschechow als die Begründerin der modernen Kurzgeschichte“, schreibt Luise F. Pusch in ihrer FemBio. Virginia Woolf soll in ihr Tagebuch geschrieben haben, dass sie auf Katherine Mansfields Prosa eifersüchtig gewesen sei, sonst auf keine andere. Auch Elizabeth von Arnim habe sich vor der Konkurrentin gefürchtet. Denn bei allem Erfolg mit ihren über 20 Büchern war ihre jüngere Cousine doch die bedeutendere Schriftstellerin.

Aber es gab auch Gemeinsamkeiten:

„There is a kind of turn in our sentences which is alike but that is because we are worms of the same family.“ (Katherine Mansfield)

So ist im Programm zur Konferenz „Elizabeth von Arnim and Katherine Mansfield – Literary Connections, Friendships, and Influence“ zu lesen, die im Juli 2017 stattfand. Offenbar teilten die Cousinen mehr als nur familiäre Beziehungen. Sie hatten beide enge Bindungen zur literarischen Szene Londons und gemeinsame Bekannte wie Bertrand Russel oder Virginia Woolf. Und nicht nur das:

„Mansfield’s narrator in her early collection of short stories, In a German Pension, bears marked resemblances with the protagonist of Elizabeth and Her German Garden, and von Arnim’s most radical novel, Vera, was written at the height of her intimate friendship with Mansfield. John Middleton Murry dedicated his posthumous collection of Mansfield’s poems to ‘Elizabeth of the German Garden’.“

Interessant, ist es nicht? Gern würde ich einen Tagungsband zu dieser Konferenz lesen, aber habe noch nichts dazu gefunden.

Elizabeth und ihr Garten

Elizabeth von Arnims erster Roman Elizabeth and her German Garden erscheint anonym, wird aber so erfolgreich, dass die folgenden Romane mit dem Hinweis auf diesen ersten Roman beworben werden (by the author …). Sie selbst nennt sich ebenfalls Elizabeth und der Gedanke, dass der Roman stark autobiographisch sein könnte, kommt nicht von ungefähr. Er entstand auf dem Familiengut Nassenheide in Pommern, wohin das Ehepaar gezogen war. Im Buch wird der Gatte stets „the Man of Wrath“ (der Grimmige) genannt, was auf ein etwas angespanntes Verhältnis zwischen den beiden deuten könnte.

Es geht in der Hauptsache um das Glück, das Elizabeth in ihrem Garten und bei der Planung der Bepflanzung empfindet. Ihre Beschreibungen sind sehr bildhaft und man bekommt selbst Lust zu gärtnern. Allerdings gärtnert sie gar nicht selbst, denn das schickte sich damals nicht für eine Dame, was niemand mehr bedauert als sie selbst. Später verlagert sich die Handlung und es geht vor allem um einen arg langen Besuch zweier Frauen, die eine ihre beste Freundin, die andere beherbergt sie eher, um jemandem einen Gefallen zu tun, und das anstrengende, neunmalkluge englische Fräulein geht den beiden Damen sowie dem Grimmigen gehörig auf die Nerven.

Der Roman liest sich erstaunlich wenig tantig-betulich und ist stellenweise ziemlich witzig. Doch sie ist eben auch eine feine Dame ihrer Zeit und so finden sich zuweilen dünkelhafte Bemerkungen, die ungut aufstoßen in all der blumenreichen Pracht. Dennoch versuche ich es mit einem weiteren ihrer Romane, nämlich Verzauberter April, der wohl auch verfilmt wurde. Scheint eine Art Gute-Laune-Roman zu sein, unterhaltend, etwas Sonne fürs Wintergrau. Dagegen ist ja nichts einzuwenden.

Die Erzählungen ihrer Cousine sind allerdings aus einem ganz anderen Stoff.

Katherine Mansfield: Erzählungen und Tagebücher

Nach zwei wunderbaren Beiträgen von Birgit auf Sätze & Schätze zu Katherine Mansfield, nämlich diesem und diesem, pflückte ich für die Straßenbahnfahrten mein altes Manesse-Bändchen aus dem Regal: Erzählungen und Tagebücher (übersetzt von Ruth Schirmer). Vor Jahrzehnten im Studium – oder war es noch in der Schule? – hatte ich einige Kurzgeschichten von ihr gelesen, aber wusste nur noch, dass sie mir gefallen hatte. Sie gefallen mir noch immer sehr, auch in der Übersetzung.

Die 19 Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1922 geben einen sehr guten Überblick. Außerdem enthält das Bändchen Tagebuchauszüge aus dem gleichen Zeitraum sowie ein Nachwort der Übersetzerin.

Wo sich bei ihrer Cousine feine Ironie oder auch Spottlust äußert, finden sich bei Katherine Mansfield zuweilen melancholische und oft entlarvende Charakterstudien. In vielen Erzählungen scheinen Figur und Erzählstimme zu verschmelzen, sodass auch hier wenig Distanz zum Geschehen besteht. Doch bringt Katherine Mansfield ein tieferes Verständnis selbst für eher negative Charaktere auf und weiß dies beim Lesen zu wecken. Anders als bei ihrer Cousine lacht man nicht mit der Erzählerin über manche Figuren, sondern empfindet eher Mitleid oder versucht, Beweggründe zu verstehen. Wie bei den Romanen Elizabeth von Arnims lassen sich auch bei ihren Erzählungen biographische Bezüge finden. Ihre Cousine hat mit ihren Romanen ihr Publikum gut unterhalten, Katherine Mansfield regt uns zum Nachdenken an. Wo Elizabeth von Arnims Romane doch sehr in ihrer Zeit stecken, wirken die Erzählungen Katherine Mansfields viel zeitloser. Ich kann die Lektüre auf jeden Fall sehr empfehlen!

So, das ist nun ziemlich lang geworden, aber ich finde das alles so interessant und hoffe, dass es euch auch gefällt.

Über Petra Gust-Kazakos

Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig https://phileablog.wordpress.com/
Dieser Beitrag wurde unter Lesenswertes abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

14 Antworten zu Die Cousinen Beauchamp

  1. gkazakou schreibt:

    Interessante Gegenüberstellung. Gelesen habe ich weder von der einen noch der anderen. Witzig finde ich, dass beide in der „neuen Welt“ Australiens und Neuseelands aufgewachsen und dann in die „alte Welt“ abgetaucht sind. Und bemerkenswert, wie eine Frau mit vier Kindern es schafft, eine so erfolgreiche Schriftstellerin zu werden, dass sie davon gut leben kann.
    Eben schaute ich in meinen Kalender „Kluge Frauen, die die Welt bewegten“ und fand von Katherine Mansfield: „Warum können wir uns nicht in Träumen treffen und uns alle unsere Fragen beantworten?“ …und noch ein Zitat von ihr fand ich darin: „Ich war schon immer der Ansicht, dass das größte Privileg, die größte Hilfe und der größte Trost in einer Freundschaft darin besteht, dass man nichts erklären muss.“

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Liebe Gerda, das Zitat mit den Träumen gefällt mir besonders gut!
      Für GartenfreundInnen ist Elizabeth und ihr Garten eine sehr nette Lektüre. Leichte und unterhaltsame Kost. Unbedingt empfehlen würde ich dir aber Katherine Mansfield. Ich glaube, ihre Erzählungen könnten dir auch gefallen.
      Liebe Grüße! (Hier scheint die Sonne und der Himmel ist so wunderbar blau, wir werden gleich in die Stadt spazieren.)

  2. puzzleblume schreibt:

    Abgesehen von deiner schönen Erläuterung zu den beiden Autorinnen hat es mir eine Randbermerkung in der Einleitung angetan, nämlich : „Im folgenden Beitrag geht es um die Freuden des Recherchierens, Puzzelns und Verwebens“ mit dem du eine Lebenseinstellung andeutet hast, die mich sehr anspricht.

  3. SätzeundSchätze schreibt:

    Liebe Petra, mir gefällt das sehr! Jetzt animierst du mich im Gegenzug, mal wieder etwas von Elizabeth von Armin zu lesen. Dass sie mit Mansfield verwandt war, wusste ich nicht – spannend sicher auch der Vergleich. Und herzlichen Dank für die Links.
    Liebe Grüße, Birgit

  4. Miss Booleana schreibt:

    Was für ein schöner Zufall und was für ein Fundstück! 🙂 Vielen Dank fürs Teilen

  5. Pingback: Vera und Rebecca | Philea's Blog

Hinterlasse eine Antwort zu SätzeundSchätze Antwort abbrechen