Die Zimtläden

Heute möchte ich euch allerwärmstens das Buch Die Zimtläden von Bruno Schulz empfehlen. Meine Ausgabe stammt aus dem Carl Hanser Verlag, übersetzt aus dem Polnischen hat Doreen Daume – und zwar großartig! Das Buch enthält außer den fantastischen Geschichten auch den programmatischen Text „Die Mythisierung der Wirklichkeit“ von Bruno Schulz, sein Exposé, das er einst auf Deutsch zu den Zimtläden schrieb, einige sehr lesenswerte Anmerkungen der Übersetzerin sowie zehn sehr schöne Illustrationen des Autors zu den Zimtläden.

Die Zimtläden empfehle ich denen unter euch, die einen opulenten, einfallsreichen Sprachgebrauch ebenso schätzen wie ins Fantastische abschweifende Geschichten. Die Sprache findet oft Metaphern aus der Musik, die hervorragend passen, etwa wenn das Hausmädchen die Vorhänge schließt und so ‚die Farben um eine Oktave sinken‘ – man hat die Verdämmerung des Zimmers genau vor Augen. Sehr gut gefiel mir auch das Bild von den Leuten auf der Straße, die in der Hitze unterwegs sind ‚im Gold waten‘ und deren Augen von der Sonne „wie mit Honig verklebt“ sind [S. 11]. (So geht es mir auch immer, wenn ich gegen die Sonne laufe, ich sehe kaum etwas, trotz Sonnenbrille.)

In den Geschichten geht es um autobiographisch geprägte Kindheitserinnerungen. Beispielsweise an eine Wohnung, so groß, dass sie unübersehbar scheint. Manche Zimmer sind vermietet, manche längst wieder frei, doch niemand scheint einen Überblick darüber zu haben. Es geht um Gärten, hinter deren Zaun „sich die Idiotie des verblödeten Unkrauts“ [S. 15] ausgebreitet hat und eine Hausiererin zur Naturgöttin werden kann. Um einen Spaziergang durch die Stadt, bei dem die Straßen plötzlich ebenso ein Eigenleben führen wie die Eisenbahn, die an unmöglichen Ecken auftaucht. Eine entfremdete, entfremdende Stadt, die uns Schulz hier beschreibt. Es geht auch um Ornithologie, Schneiderpuppen und Kakerlaken. Protagonist ist vor allem der Vater, der immer seltsamer wird, vergesslicher, vielleicht sogar verrückt, womöglich selbst zum Kakerlak? Seine rührenden bis absurden Beschäftigungen, seit es mit seiner Veränderung angefangen hat, sind ja sozusagen im Rückblick beschrieben, ohne medizinische Unterfütterung. Parabeln der Wunderlichkeit. Diese Wunderlichkeit, manche Wunder und das Wundern selbst kommen hier so verwandt und natürlich zusammen, dass das Fantastische, Traumhafte so möglich und wahrscheinlich erscheint wie die Wirklichkeit selbst.

Und immer wieder die Sprache. Auf dem Einband heißt es, Isaac Bashevis Singer habe darüber gesagt: „Manchmal schrieb er wie Kafka, manchmal wie Proust, und mit der Zeit gelang ihm eine Tiefe, die keiner von beiden erreicht hat.“ Dem ersten Teil des Satzes kann ich auf jeden Fall beipflichten.

Die Mythisierung der Wirklichkeit

In diesem Text beschreibt Schulz seine Auffassung vom Verhältnis zwischen Wirklichkeit, Wort und Sinn. Einst sei der „tausendfältige, doch integrale Wort-Organismus […] in einzelne Wörter zerrissen worden“. Diese Wörter seien „in dieser neuen Form, dem praktischen Bedarf angepaßt, bereits als Organ der Verständigung zu uns gekommen“. Wenn aber „das Wort, von diesem Zwang befreit“ sei, „möchte es wieder vollständig zu Sinn werden – und diesen Drang des Wortes zurück zum Ursprungsort, seine zurückgewandte Sehnsucht, die Sehnsucht nach der Urheimat des Wortes“ sei das, was wir „Poesie“ nennen [S. 194] – ein herrlicher Gedanke, nicht wahr? Auch sein Fazit hat mir gefallen:

„Wir halten das Wort üblicherweise für den Schatten der Wirklichkeit, für ihr Abbild. Richtiger wäre die umgekehrte Behauptung: Die Wirklichkeit ist der Schatten des Wortes. Philosophie ist eigentlich Philologie, sie ist die tiefgreifende, schöpferische Erforschung des Wortes.“ [S. 197]

Bruno Schulz

Der Autor wurde 1892 in Drohobycz (damals Galizien, heute Ukraine) geboren. Sein Vater war ein jüdischer Tuchhändler. Bruno Schulz verbrachte mehrere Aufenthalte in Wien, wo er an der Akademie der Künste eingeschrieben war. Weitere Reisen führten ihn nach Paris und Dänemark. Seine Zimtläden schrieb er auf Polnisch. Ende 1933 erschienen, machten sie ihn schnell berühmt. Die Kritik allerdings schwankte zwischen Begeisterung und Verständnislosigkeit. Zu einer Übersetzung in andere Sprachen kam es erst nach dem Tod des Autors, der am 19. November 1942 – kurz vor seiner Flucht aus dem Ghetto – von SS-Scharführer Karl Günther auf der Straße erschossen wurde. Warum genau, ist bis heute nicht letztgültig geklärt.

Über Petra Gust-Kazakos

Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig https://phileablog.wordpress.com/
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22 Antworten zu Die Zimtläden

  1. buzzaldrinsblog schreibt:

    Oh, was für ein schöner Tipp an diesem heißen Tag, liebe Petra! 🙂 Ich möchte schon so lange gerne mal etwas von Bruno Schulz lesen und bin bisher noch nicht dazu gekommen. Aufmerksam war ich auf ihn dank Jonathan Safran Foer geworden. Dank deiner Erinnerung werde ich hoffentlich bald etwas von ihm lesen!

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Das ist ja fein, liebe Mara! Ich freu mich, dass dir der Tipp Lust auf die Lektüre macht. Inzwischen gibt es das Buch vermutlich auch schon als TB, ich hatte es noch gebunden gekauft, bereue die Ausgabe aber kein bisschen : )

  2. Xeniana schreibt:

    Mich hat der Beitrag so angesprochen, dass ich es postwendend bestellt habe. Danke!

  3. haushundhirschblog schreibt:

    Bruno Schulz war auch ein ausgezeichneter Grafiker und Zeichner. „Das Götzenbuch“, ein Grafik-Zyklus, zeigt sehr eindringlich, dass seine bildnerischen Arbeiten nicht hinter denen des Schriftstellers zurückstehen. Danke, liebe Petra, für die Erinnerung an ihn!
    Liebe Grüße dm

  4. B.ee schreibt:

    Liebe Petra, das ist ja eine tolle Empfehlung und Entdeckung. Wie gut, dass ich ja soooo flexibel bin und es mir in der Stadtbib vll einfach trotz meines Reading from Home einfach mal dazu erlauben werde.

  5. Tanja schreibt:

    Huhu Petra!
    Wir haben etwas gemeinsam. Hast du geheult, werde ich oft gefragt – trotz Sonnenbrille. „Die Zimtläden“ – muss ich mir merken! Interessant ist auch der Vergleich von Isaac Bashevis Singer. Vielen Dank für deine Vorstellung.

    Liebe Grüße,
    Tanja

  6. Frau Blau schreibt:

    schon notiert!
    danke dir und hab eine feine Zeit, liebe Petra
    herzlichst Ulli

  7. glasperlenspiel13 schreibt:

    Schon allein der Titel hat mich fasziniert. Nun war ich so neugierig und hab mir auch gleich mal die Cover dazu angeschaut. Den Titel werde ich mir auf jeden Fall merken. Ich habe noch eine Verständnisfrage. Du schreibst:
    „… kam es erst nach dem Tod des Autors, der am 19. November 1942 – kurz vor seiner Flucht aus dem Ghetto – von SS-Scharführer Karl Günther auf der Straße erschossen wurde.“

    Wenn er umgebracht wurde, kann er doch nicht mehr fliehen? Oder verstehe ich da etwas falsch? Meinst du nach seiner Fluch?

    Liebe Grüße
    Die Bücherliebhaberin

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Liebe Bücherliebhaberin, nach allem, was ich so über Bruno Schulz fand, war es wohl so, dass bei ihm gefälschte Papiere gefunden wurden, die er sich anfertigen ließ, um damit fliehen zu können. Aber das ging dann ja leider nicht mehr, weil er ermordet wurde.
      Ich bin gespannt, wie dir das Buch gefällt, vielleicht lese ich dann ja mal bei dir darüber?
      Liebe Grüße!

  8. textgruen schreibt:

    So geht das bei der Frühjahrsputzlese – https://phileablog.wordpress.com/2014/03/17/fruhjahrsputz/ – wohin ich eben übers Twitterbrücklein kam, sah und staunte…

    Noch ganz unten findet sich etwas, das dich fremdvertraut anblickt (unter der Rubrik „Ähnliche Beiträge) und du weißt sofort, die Zimtläden schwimmen viel zu lange schon geduldig summend im Kopf ohne anlanden zu dürfen. Der nach dem duftenden Titel aus einem antiquarischen Haufen gefischte Fund, bereits verkostete Bilder und der Sog der Worte, dem du dich damals noch nicht und seither immer wieder einmal um ein Haar ausliefern, anvertrauen wolltest.

    Ich weiß genau, wo das Buch steht. Und dass meine Ausgabe die hier beschriebene sein muss… Haptische Erinnerung lockt.
    Zumal: das Bücherregal sollte eh bald mal drankommen beim Frühjahrsputz – aus Staub- und Textgründen. Oder so ähnlich.

    Danke für diesen vielfältigen Anstoß, die Zimtläden zu öffnen!

    • Petra Gust-Kazakos schreibt:

      Ich freue mich sehr, dass dir der Beitrag Lust macht, in die Zimtläden zu schnuppern – wirklich ein herrliches Buch! Und falls es dir so gut gefällt wie mir, empfehle ich hinterher noch Maxim Billers Im Kopf von Bruno Schulz – ergänzt sich fabelhaft! Liebe Grüße!

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