Die Dinge des Lebens

Wie lassen sich Erinnerungen bewahren? Eine Möglichkeit, die wir fast alle nutzen, sind Andenken: Über Fotos, Briefe, Theaterkarten oder Muscheln von fernen Stränden rufen wir uns, wann immer wir sie betrachten, Erinnerungen – die Vergangenheit – zurück. In größerem Umfang leisten Museen die Arbeit, über Dinge Vergangenes zu rekonstruieren: Präparate längst ausgestorbener Tiere, Fossilien, Grabbeigaben, alte Münzen, Kunst und Handwerkliches – lauter Dinge, die uns dabei helfen, uns vorzustellen, wie das Leben vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden gewesen sein mag.

Doch lässt sich ein Leben tatsächlich über Dinge rekonstruieren? Dieser Frage geht Umberto Eco in seinem Roman Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana nach:

„Die Hauptfigur, der Antiquar Giambattista Bodoni, genannt Yambo, erwacht aus einem Koma und hat sein Leben vergessen, obwohl er sich noch an alles Mögliche erinnern kann. Er denkt in Zitaten, kann geschichtliche Daten korrekt herunterleiern, lateinisch deklinieren – aber wie er heißt, dass er verheiratet ist und Kinder und Enkelkinder hat, das weiß er nicht mehr. Um sich sein Leben zurückzuholen, begibt er sich in das Haus seines verstorbenen Großvaters und liest sich durch die Comics und Schlagzeilen seiner Kindheit, hört alte Platten und erforscht das Haus nach Spuren seiner Identität und seiner Identitätsbildung.

Der Roman enthält eine Menge Bilder, Titelbilder von Comics, Plakaten und vielem mehr. Eco muss eine unglaubliche Recherche nach Erinnerungsstücken aus seiner Kindheit und Jugend betrieben haben, um Yambos Suche mit diesen Fundstücken zu illustrieren. Und en passant stellt er damit zugleich einen Katalog der Erinnerungen für seine Generation zusammen.“ [Ganz weit weg, S. 102]

Leanne Shapton geht in ihrem Buch Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Lenore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck sogar noch konsequenter den Weg über Dinge. Denn sie verzichtet völlig auf erzählenden Text und lässt allein die Gegenstände für sich sprechen, die sie wie in einem Auktionskatalog mit Fotos und kleinen Texten präsentiert. Nur über Dinge entfaltet sich die Liebesgeschichte von Lenore und Harold in New York. Man betrachtet ihre Fotos in unterschiedlichen Phasen ihrer Beziehung, Briefe, Notizen, den Inhalt ihrer Kulturbeutel, Kleidungsstücke, Bücher, Souvenirs – und tatsächlich setzen sich daraus Stück für Stück die Charaktere und die Geschichte ihrer Beziehung zusammen. Man erhält ein genaues Bild davon, was sie mögen und was nicht, sogar davon, was und wie sie denken. Mich hat das Buch begeistert, denn so hat mir noch niemand eine Liebesgeschichte erzählt – unbedingt kaufen oder wenigstens ansehen!

Über Petra Gust-Kazakos

Fiel als Kind in eine Buchstabensuppe; Femme de lettres, virtuelle Salonière, Public Relations Managerin, Autorin, stets lese- & reiselustig https://phileablog.wordpress.com/
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